Mitglieder des Richard Wagner-Verbandes Hannover haben im Oktober den "Rienzi" in Bremen besucht. Wie schon nach der Fahrt zur "Walküre" in Lübeck, haben wir anschließend bei einem Jour Fixe diesen Besuch nachbearbeitet.
Wieder einmal wurde sehr kontrovers diskutiert. Die kritischen Stimmen mit ihren Anmerkungen waren schon in der Mehrzahl, es gab aber auch positive Kommentare. Wer nicht mit in Bremen war, sollte sich trotzdem nicht abhalten lassen, eine der nächsten Vorstellung zu besuchen. Ich jedenfalls werde noch nach Bremen fahren.
G. Lundin
Lesen wir jetzt den Bericht von unserem Vorstandsmitglied, Ks. Prof. Marie-Louise Gilles.
Richard Wagner, "Rienzi", Vorstellungen am 13. und 18. Oktober 2008
Unter dem Eindruck des Skandals an der Leipziger Oper anlässlich der Premiere "Der fliegende Holländer" am 10. Oktober 2008 waren Musikfreunde aus Hannover zur 2. und 3. Vorstellung nach Bremen gereist, um Richard Wagners "Jugendsünde"-Rienzi, seinen Schreihals, zu erleben.
Bewundernswert diszipliniert ertrugen sie eine Vorstellung, die von 19 bis 23 Uhr dauerte und - die nach nuancenreich vorgetragener Ouvertüre, die alles Hörenswerte schon enthält - szenisch größtenteils langweiligen Unfug enthielt. Solidarisch mit den Künstlern äußerte man sich dezent mit Kopfschütteln, Kichern und viel Gähnen.
Das Publikum des 19. Jahrhunderts, eingezwängt in deutsche Kleinstaaten und die bürgerliche Moral des Biedermeier, sehnte sich nach heroischen Vorbildern; und als Richard Wagner seinen "Rienzi" in Dresden präsentierte, begeisterte man sich "für den letzten der Tribunen".
Hans-Joachim Frey, der rührige Bremer Generalintendant - aufgewachsen in Hannover, Mitglied des Knabenchors Hannover, Studium Musiktheaterregie in Hamburg, Betriebsdirektor in Bremen und an der Semperoper - hatte der überregionalen Aufmerksamkeit gewiss, wie ein cleverer Zirkusdirektor, eine Sensation parat: die Blonde, mit der gestylten Löwenmähne, Katharina Wagner, deren schönes Portrait die Werbung ziert.
Mit ihr, der neuen "Herrin von Bayreuth" als Regisseurin und mit Mark Duffin, einem Heldentenor aus dem Bremer Ensemble, dazu zwei respektable Damen: Patricia Andress und Tamara Klavidenko für "Irene" und "Adriano", dazu den Dirigenten Christoph Ulrich Meier, der aus den unterschiedlichen Fassungen des Werkes eine spielbare erstellte, konnte das Unternehmen gewagt werden.
Die Erwartungen wurden hochgeschraubt - was macht die Urenkelin, etwa im gleichen Alter wie der Dichterkomponist beim Entstehen des Werkes, daraus heute für die Bühne. Und was macht sie nun? Sie parodiert; keine schlechte Idee - aber das will gekonnt sein! Den Beweis hierfür lieferte Peter Konwitschny: Mit seinem Hamburger "Lohengrin" im Klassenzimmer - ein einmaliges Ereignis, das keine Nachahmung verträgt.
Christine Mielitz inszenierte den "Rienzi" in Mannheim und an der Komischen Oper in Berlin, sie nahm das Stück ernst und formte es durch packende Aktionen so spannend, dass man die zahlreichen Peinlichkeiten der Musik nicht bemerkte. In Bremen aber stolperte eine lustlose oder gar nicht vorbereitete Inszenierung von einer blamablen Situation in die andere. Das alle im Ensemble - nolens volens - mitspielten, ist verständlich, denkt doch jeder, vielleicht klappt es ja einmal mit Bayreuth, wenn ich hier auf Katharina einen guten Eindruck mache.
Zwei endlos lange Umbaupausen störten erheblich, ohne sichtbare Veränderungen auf der Bühne - außer neuen Kostümen für den Chor - zu zeigen, und nur grobe Äußerlichkeiten sollten die Personen und Situationen charakterisieren:
- Der Adel trägt Allonge-Perücken;
- Rienzi verwandelt sich vom intellektuellen Glatzkopf in einen langhaarigen, zappeligen "Guildo Horn" und hüpft im Takt in den Aktschluss und den fallenden Vorhang;
- Die Kirchenfürsten tapsen, ein Bein oben, ein Bein unten die Stufen entlang:
- Ein tuntiger Frisör darf in dieser "Witzigkeit" nicht fehlen;
- "Roma, die Ewige", die Rienzi zu retten versucht, mutiert von ihrer Statue, erst geköpft, dann beschmiert, zu einer Comic-Figur mit gespreizten Beinen und am Schluss in den erhängten Rienzi selbst.
Die vorzüglich einstudierten, prächtig singenden und spielfreudig agierenden Chöre, Leitung Taro Vaaks, standen viel zu oft "en bloc" herum, hoben den Arm und streckten den Zeigefinger. Dass hier eine von 1933 bis 1945 übliche Armbewegung vorgeführt werden sollte, merkte auch der weniger Bedarfte. Eine der wenigen guten Ideen, die in Erinnerung bleiben, ist die Chorszene, in der die Frauen das die Treppen hinunterlaufende Blut mit ihrer Kleidung aufwischen - so ist es ja leider nach allen Kriegen.
Eine Armee und ihren Anführer mit Laubsaugern zu bewaffnen, war das Knalligste. Damit könnte der agile Rienzi-Tenor Mark Duffin in jeder Comedy-Sendung im Fernsehen Furore machen. Jetzt aber bewunderte man seinen Galgenhumor, seine Sportlichkeit und wenn man die Augen schloss, seine herrlich strahlende Stimme, die untadelig in allen Lagen die Nuancen der Gefühle ausdrückte.
Ihm zur Seite Patricia Andress als "Irene", eine elegante Person, von der Regie zum Herumstehen im Stich gelassen, erfreute mit bestens fokussiertem Glanz und leuchtete über das Orchester und das Ensemble. Dem Hause Gratulation zu diesen beiden Sängerpersönlichkeiten!
"Adriano", der Knabe in den größten Konflikten zwischen Liebe, Sohnespflicht und politischem Engagement mit kräftigem, aber wie es die osteuropäische Stimmerziehung der Sängerin Tamara Klivadenko wohl beigebracht hat, auch hartem kehligen Mezzo, musste als ungünstig gekleidetes Bübchen herumlaufen. Sie hätte mehr Sorgfalt verdient gehabt.
Nach diesen drei Protagonisten klaffte gesanglich eine Qualitätslücke. Warum nur? Es gibt genügend schöne Stimmen auf dem Markt und ein Intendant, der seine Erziehung im Hannoverschen Knabenchor und in der Kirchenmusik an der Hochschule erhielt, sollte sie doch zu finden wissen.
Dem äußerst geschmackvoll renovierten Bremer Theater wünschen die Musikfreunde aus Hannover in Erinnerung an viele unvergessliche Vorstellungen mit großen Dirigenten und bahnbrechenden Regisseuren eine glückliche Hand, die aber zurückschrecken sollte vor befristeten Sensationen des Regietheaters.
M.L. Gilles
Weitere Stimmen unserer Mitglieder zur Aufführung:
- Diese Inszenierung war leider plakativ und dadurch gegen Ende eher langweilig. Man könnte meinen, das Handwerk des Regieführens klappt hier noch nicht ganz, aber große Anerkennung für Mark Duffin und seine sängerische und körperliche Leistung.
- Mir hat dieser Rienzi gut gefallen, er war frisch und jung inszeniert und verlor durch die Gags aus der heutigen Zeit seinen alten Staub, viele neue Ideen wie man das alte Werk auffrischen kann, ich habe mich in Bremen gut amüsiert.
- Hochachtung vor allen Sängern und der Leistung des Chores, die dieser Inszenierung doch Glanz gaben, obwohl die Personenregie - außer für Rienzi - leider zu kurz kam, eine reine Konzentration auf die Hauptfigur ist zu wenig.
- Die Interpretation einer Wagner-Oper verlangt auch deren intelligentes Verständnis, man sah keine Schlüssigkeit im Regiekonzept, viele witzige Gags geben leider noch keine rote Linie durch das Werk, mit dem man sich stärker auseinander setzen sollte, inklusive der etwas schwierigen Werkgeschichte.
- Ich werde leider innerlich etwas aggressiv, wenn auf der Bühne die Figuren allein gelassen werden und man dadurch nicht mit ihnen und ihren Emotionen mitfühlen kann. Gerade in dieser Oper hätte das Liebespaar Irene und Adriano eine bessere Personenregie verdient, denn sie konnten durch ihre Stimmen überzeugen.
- Ich bin ohne große Erwartungen nach Bremen gefahren und wurde dem entsprechend nicht enttäuscht. Die Oper zog sich durch die vielen Parodien in die Länge und wurde langweilig.