Feinschmecker wissen die Speisenfolge eines perfekten Dinners zu schätzen, in der sich Leichtes und Schweres, bekannt Bewährtes mit überraschend Unbekanntem abwechseln - bis hin zum köstlichen Dessert.
Genauso wird ein feingefügtes Konzertprogramm für den Hörgenuss des Besuchers aufgebaut. Im Falle des Richard Wagner-Verbandes Hannover stellt unsere Musikhochschule die Zutaten zur Verfügung, für die Zusammenstellung sorgt der Vorstand des Verbandes. Dazu gilt es nun mit Erfahrung und gutem 'Riecher' aus dem großen Korb mit 'frischem Gemüse' und 'leuchtenden Früchten' diejenigen herauszufinden, die in ihrem späteren Berufsleben wahrscheinlich mit Richard Wagner befasst sein werden. Die Stipendiaten bedanken sich dann bei den Mitgliedern mit einem Stipendiatenkonzert.
Zu den Stipendiaten 2010 gehören: ein Kapellmeister und Pianist, ein Sänger (Bass), eine Flötistin sowie eine Studentin für das Lehramt an Gymnasien. Für das diesjährige Konzert wird der Kreis der Mitwirkenden noch erweitert: eine Stipendiatin 2009 (Mezzosopran), die wegen einer Erkrankung im vorigen Jahr nicht auftreten konnte, sowie ein Pianist, der sich als Stipendiat 2011 empfiehlt.
Der Vorsitzende des Verbandes - Gunnar Lundin – begrüßt die Zuhörer und die Mitwirkenden. In seiner Begrüßungsrede geht er auch darauf ein, dass manche Mitglieder sich selbst gerne als 'Wagnerianer' bezeichnen und dieser Begriff zum Teil auch in der Öffentlichkeit übernommen wird. Es können daraus ganz unbeabsichtigt Vorurteile entstehen, die man doch vermeiden sollte.
Das Stipendiatenkonzert beginnt mit der Arie der Arianna aus 'Arianna a Naxos' von Joseph Haydn, die sich in ihrer Farbigkeit, im Wechsel von Trauer und Zorn als eine Überraschung herausstellt. Soviel 'furore' traut man dem höfisch-dezenten 'Papa' Haydn gar nicht zu und die Stipendiatin 2009, Mareike Braun, singt mit angenehmem Mezzo-Timbre, locker geführter Stimme glaubhaft alle Regungen ausdrückend. Als Partner am Klavier erleben wir Peter Leipold, der sich schon mehrmals als außergewöhnlicher, junger Orchesterdirigent vorstellte.
Uschi Pichler, Flöte, spielt mit feiner Phrasierung zwei Sätze aus Johann Sebastian Bachs Sonate BWV 1035, kompetent und duftig im Spiel begleitet von Felix Tennie, dem zukünftigen Stipendiaten für 2011. Er ist anschließend noch mit dem Impromptu Ges-Dur zu hören, womit er spannungsreich die tiefgründig- melancholische Welt von Franz Schubert erschließt.
Wohl kaum jemand von uns kannte das düstere Richard Wagner, Venezia von Franz Liszt mit dem Peter Leipold die Todestrauer der schwarzen Gondeln so eindrucksvoll erleben lässt, dass der Beifall sich erst nach einem tiefen Atemzug des Publikums erhebt.
Anne Miebach, die Ihre Bachelorarbeit zum Thema: Ein alternativer analytischer Zugang zu Richard Wagners ‚Parsifal’ schrieb, spricht über das Thema: Was ist das Zauberhafte am Zaubermotiv und gibt am Klavier Beispiele von Akkordfolgen aus 'Parsifal' und 'Tristan', die sich als 'Teufelsmühle' um sich drehen, endlos fortgesponnen werden können, sich auflösen oder enden wie in Schuberts 'Leiermann', dessen letzte Strophe Daniel Eggert als Beispiel eines Todes singt, wohingegen Kundry in vielerlei Gestalten immer wieder lebt, sündigt, stirbt und wieder leben muss. Ein zweifellos bereichernder Vortrag, der manchem Zuhörer ganz neue Einsichten vermittelt.
Als Abschluss des ersten Teils hören wir das schwärmerische 'An Sylvia' und 'An Schwager Kronos', energisch ins Leben drängend, von Franz Schubert. Eine gute Wahl für die jugendlich frische Bass-Stimme von Daniel Eggert. Dankeswerterweise belässt sein Lehrer, Prof. Schwarz, ihm sein schönes, persönliches Timbre und verleitet ihn nicht, wie es so oft geschieht, 'auf Bass zu machen'. Felix Tennie am Klavier trifft genau die richtige Dynamik für die pochenden Akkordrepetitionen der 'Sylvia' und des stürmischen 'Kronos'.
Wir freuen uns auf den weiteren Verlauf des Konzertes, nachdem die Stipendiaten, deren Gesichter in Vorfreude strahlen, ihre Urkunden für den Bayreuth-Aufenthalt aus der Hand des Vorsitzenden Gunnar Lundin, entgegengenommen haben.
Ein virtuoses 'Schmankerl' beschert uns die Wienerin Uschi Pichler mit der 'Lohengrin Phantasie' von Giulio Bricciali. ährend das Klavier - Felix Tennie - uns allen bekannte Themen der romantischen Oper spielt, umflattern sie die Flöte wie ein Schmetterling mit unglaublicher Behändigkeit. Aber auch die lyrischen Phrasen erklingen mit beseelter Innigkeit, so dass die Meisterin Prof. Lieberknecht stolz auf ihre junge Künstlerin sein kann, und das Publikum in Begeisterung ausbricht.
In original russischer Sprache singt Mareike Braun die Arie der Olga aus 'Eugen Onegin' von Peter Tschaikowskij. Olga, die naive, fröhliche Schwester der sentimentalen Tatjana muss in dieser Szene das Kunststück fertig bringen, ihr ungetrübt sonniges Gemüt in tiefer Stimmlage verständlich zu machen, was - bis auf das Volkslied-Zitat - gar nicht leicht ist (... ich spreche aus Erfahrung!) aber Mareike Braun gelingt es mit Charme.
Wie hier, so assistiert Peter Leipold auch bei der folgenden Arie des Daland. So traurig die Tatsache ist, dass ein Vater seine Tochter verhökert, hat sie Richard Wagner doch in eine Spielopern-Musik gekleidet, in der Daniel Eggert seine Pfiffigkeit ausspielen kann. In den lyrischen Phrasen und den tonlichen Höhepunkten strömt die junge, gesunde Stimme und wir freuen uns auf kommende Taten!
Felix Tennie und Peter Leipold ergreifen für die vierhändige Fassung von Rossinis Wilhelm-Tell-Ouvertüre geradezu Besitz vom Flügel. Das Publikum ist gebannt, was diese beiden Schelme an lyrischer Erzählkunst und schließlich an rasanter Virtuosität in präziser Gemeinsamkeit bieten. Der Jubel der Zuhörer belohnt die beiden und ihre heiß gelaufenen Finger, und die Mitglieder des Verbandes sind beglückt, zu erleben, dass ganz schwierig zu spielende Musik auch ganz viel Spaß macht, wenn sie von hochmotivierten Talenten dargeboten wird.
Jetzt kommt das Dessert aus Lortzings 'Zar und Zimmermann'. Daniel Eggert, begabt mit Spielwitz, Charme und schöner Stimme beschert uns mit Humor und blitzenden Augen ein Kabinett-Stück eines eitlen Politikers in allen Facetten der Selbstüberschätzung. Im Applaus des beglückten Publikums fragt mich meine Nachbarin: "Warum spielt man diese Stücke nicht mehr?" Ja, warum wohl?
Alle, die diesen Vormittag, der mit einem Wasser-Saft-Wein-Steh-Empfang und lebhaften von Entdeckerstolz getragenen Gesprächen und dem Betrachten der Fotos unserer 100-Jahr-Feier endet, nicht erlebten, haben viel verpasst! In diesem Zusammenhang kommt in manch einem Gespräch ganz nebenbei die Frage hoch, ob ein dem Werk eines Klassikers verbundener Verband gegen das wegen der Wertungen bis in die Nacht ausharrenden und deshalb am nächsten Tag nicht aus den Betten kommenden Millionen-Publikum und gegen dieses entzückende, unbekümmerte Hannoversche Trällermäuschen Lena ankommt?
Marie-Louise Gilles